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Do, 10.10.2024 | 11:05-11:25 | Ö1

Radiogeschichten

In seiner Erzählung "Der Fall Crainquebille" entwickelte der Literaturnobelpreisträger Anatole France 1903 einen Justizfall als Parabel, gezeichnet von der Dreyfus-Affäre: Der alte Gemüsehändler Crainquebille fährt mit seinem Wagen durch die Straßen und ist mit allen Bewohnern des Pariser Viertels gut Freund. Eines Tages gerät er mit einem übereifrigen jungen Polizisten in Streit, der ihn beschuldigt, ihm ein Schimpfwort zugerufen zu haben. Crainquebille fühlt sich unschuldig und verteidigt sich, er gerät in das Räderwerk der Polizei- und Justizbehörden und wird zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Als er wieder in Freiheit ist, wenden sich alle seine früheren Kunden von ihm ab und er verelendet schließlich so, dass ihm das Gefängnis als einzige Zuflucht erscheint. Er ruft deshalb einem anderen Polizisten jenes Schimpfwort zu, für das er unschuldig verurteilt worden ist, worauf dieser jedoch nicht in der erwarteten Weise reagiert, sondern den alten Mann mit dem Rat, einfach seiner Wege zu gehen, konsterniert zurücklässt.Anatole France wurde 1844 als Jacques-Anatole Thibault in Paris geboren, verdiente sich ab 1867 seinen Lebensunterhalt als Lektor im Verlag Alphonse Lemerre. Mit 29 Jahren veröffentlichte Thibault unter seinem Schriftsteller-Pseudonym "Anatole France" seine erste Gedichtsammlung "Les Poèmes Dorés". 1876 wurde er Mitarbeiter der Bibliothèque du Luxembourg. 1881 gelang ihm mit seinem ersten Roman _ "Die Schuld des Professors Bonnard" _ der internationale Durchbruch als Schriftsteller. 1897 setzte sich Anatole France, der im Jahr davor in die Académie française aufgenommen worden war, für eine lückenlose Aufklärung der Dreyfus-Affäre ein. In historischen Romanen wie "Die Götter dürsten" (1912) plädierte der Agnostiker und Linkssozialist Anatole France für Freiheit, Toleranz und Humanismus. An seiner kritischen Einstellung gegenüber Staat und Kirche ließ er keinen Zweifel. 1921, drei Jahre vor seinem Tod, wurde ihm der Nobelpreis für Literatur verliehen.

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