0%
 
Detailbild Radiokolleg
Mo, 01.07.2024 | 09:45-10:00 | Ö1

Radiokolleg

Über ein gutes halbes Jahrhundert lang war die Popkritik ein lebhafter Teil der journalistischen Landschaft. Entlang seiner scheinbar trivialen Aufgabe, Songs zu beschreiben oder Bands zu interviewen, formulierte der Musikjournalismus den Subtext gesellschaftlicher Entwicklungen. Mittlerweile gibt es kaum mehr gedruckte Magazine und die in geringen Auflagen, selbst die zu Anfang des Jahrtausends so blühende Blog-Kultur ist gegenüber der Übermacht der sozialen Medien zur Bedeutungslosigkeit geschrumpft. Stirbt die Popkritik aus? Und wenn ja, was sagt das über die sich verändernde Rolle der Musik?Im Jahr 2024 scheint es, als habe der sogenannte "Poptimismus" gesiegt: Kein Medium kommt daran vorbei, jeden Atemzug der Popkönigin Taylor Swift in detaillierter Ausführlichkeit zu dokumentieren. Dabei fällt auf, dass die journalistische Auseinandersetzung jene kritische Distanz aufgegeben hat, die einst Voraussetzung medialer Wahrnehmung war. Stattdessen reflektiert bzw. erklärt der Journalismus phänomenologisch die Sicht der Fans, die sich in sozialen Medien austoben. Die Aufgabe scheint nur mehr zu sein, populäre Künstler:innen zu "feiern". Eine Abweichung davon wird auch vom Publikum kaum mehr geduldet. Als das US-Online-Magazin Paste eine nicht ganz positive Rezension von Taylor Swifts neuem Album veröffentlicht, wird der Name des/der Kritiker:in zum Schutz vor dem zu erwartenden Shitstorm geheim gehalten. Denn ein Verriss wird von der gekränkten Anhängerschaft mittlerweile als Übergriff nicht nur auf die Künstlerin, sondern auf sich selbst verstanden. Ist Pop-Kritik schlicht unmöglich geworden?

10.61.5.113